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„.. ich kann in dem Bild einfach nichts erkennen..“ - Der „Kopf“ kann Kunst nicht fühlen

 

Die gegenstandslose Malerei ist eine Kunstsprache, die sehr einfach verstanden werden könnte. Trotzdem fällt es Manchen schwer sich auf Gemälde einzulassen, wie zum Beispiel auf die Gemälde von Mark Rothko. Er gestaltete seine Bilder mit großen gestapelten farbigen Flächen und ohne Figuren oder Formen.

 

Unser Sehen ist an Abbildungen, Fotos und Bilder gewöhnt, die uns zeigen, was wir sehen sollen bzw. wollen. Meist ohne Rätsel und Geheimnisse. Bekanntes, Figuren oder Landschaften die wir meinen zu erkennen, geben uns Sicherheit und ein Gefühl auf gewohntem Terrain zu sein.

 

Den Kopf ausschalten und das Rationale verlassen, ist manchmal ziemlich schwer. Denn, nur mit unserem Verstand meistern wir die alltäglichen Hindernisse. So meinen wir. Es gibt Lebensabschnitte in denen es vielleicht wirklich einfacher ist, die Gefühle zu verdrängen oder gleichgültiger zu sein. Durch zu viel negative Erfahrungen und „Wund sein“ müssen wir uns schützen, um irgendwie zu funktionieren. Aber können wir uns in diesem Zustand auch wirklich berühren lassen? Von Menschen oder gar von Kunst?

 

Bilder, die nichts Bekanntes erkennen lassen, wie ein Gesicht oder einem Tier, können irritieren. Zulassen und akzeptieren, dass nichts Konkretes abgebildet werden soll, eben keine Kopie von etwas dargestellt ist, kann der Schlüssel zu einem anderen Wahrnehmen sein. Es ist was es ist. Ein Punkt ist ein Punkt, eine Linie eine Linie, eine farbige Fläche eine Farbfläche. Wichtiger ist die künstlerische Komposition und welche Gefühle das Bild vermittelt.

 

Kunst wahrzunehmen heißt auch, sich selbst wahrzunehmen. Bei sich selbst zu sein. Dafür braucht es Zeit und einen freien Kopf, um sich wirklich auf das Gemälde einlassen zu können. Das ist ein ganz intimer Augenblick. Es ist ein Entdecken, ohne auf eine Fremdmeinung hören zu müssen. Jede:r fühlt dabei und sieht etwas anderes in einem Gemälde. Es geht dabei überhaupt nicht darum etwas vermeintlich Richtiges zu sehen oder gar zu fühlen.

 

Diese „andere“ Sprache ermöglicht einen Zugang zu neuem Sehen und zu sich selbst. Was soll Kunst denn auch sonst? Es geht nicht nur darum etwas Hübsches anzuschauen oder sich schnell unterhalten zu lassen.

 

Menschen haben zum Beispiel zur Musik einen einfachen Zugang, können sich emotional berühren lassen, selbst ohne eine Singstimme oder einem Text, rein instrumental. Wassily Kandinsky (1866-1944) verglich die „abstrakte“ Malerei* mit der Musik. In seinem Buch „Essay über Kunst und Künstler“ schrieb er: „Schon in jungen Jahren fühlte ich die unerhörte Ausdruckskraft der Farbe. Ich beneidete die Musiker, die Kunst machen können, ohne etwas Realistisches zu erzählen...“

 

Seine Texte „Über das Geistige in der Kunst“ und „Punkt und Linie zu Fläche“ gehen theoretisch der Frage nach, wie eine Kunst aussehen kann, die, wie die klassische Musik, die Gefühle von Menschen erreichen soll. Ohne dabei etwas nachahmen oder kopieren zu müssen, wie einem Vogelgesang in der Musik oder einem Spatz als Abbildung in der Kunst. Er fordert von der Kunst sich genauso wie die Musik zu entwickeln. Die Kunst soll durch eine eigene Sprache die Gefühle anpacken.

 

Auf jeden Fall ist für mich als Künstlerin die gegenstandlose Malerei ein großer Spielplatz, auf dem ich mich ausprobieren kann, um Stück für Stück meine eigene Ausdrucksform und eigene Sprache zu finden. Kunst zu machen bedeutet für mich eine weitere Darstellungsmöglichkeit zu besitzen, auch eine weitere Form, um meine Welt auf eine neue Weise wahrzunehmen und Etwas auf eine andere Art und Weise erzählen zu können.

 

Manches ist in mir tief verborgen und ich kann keine Worte dafür finden. Es braucht gelegentlich eine Serie von Aquarellen, um meine Gefühle zu entschlüsseln oder Gedanken einzuordnen, da das Unterbewusstsein so viel reicher und größer ist, als der wache Geist. Durch die Auseinandersetzung mit Formen und Farben finde ich Stärke. Mich beim Malen an keine Vorgaben, Regeln oder Verbote halten zu müssen, das gibt mir ein Gefühl, und wenn es nur für ein paar Minuten ist, wirklich frei sein zu können.

 

 

*In der Zeit von Kandinsky gab es keine einheitlichen Bezeichnungen für die unterschiedlichen Kunststile. Viele Künstler:innen hatten ihre eigenen Begriffe. Er beschrieb aus heutiger Sicht mehr die gegenstandslose und konkrete Malerei, als die abstrakte Malerei.

 

 

Quelle:

 

Wassily Kandinsky: Essay über die Kunst und Künstler, 1955, Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei. Überarb. Ausgabe von 1952 (Original 1911), Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente von 1973 (Original 1926)

 

Erich Henrich: Freie Malerei. Abstrakte Malerei. Die Entwicklung der gegenstandslosen Malerei. Die bildnerischen Mittel. Der individuelle Ausdruck. Studienmaterial SGD Darmstadt

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